Wasserkrieg und wütender Mob: Als vor 60 Jahren die Gemeinde Oder verschwand

Wackersdorf/Steinberg am See. „Mit Wirkung ab 1.Juli 1961 wird die Gemeinde Oder in die Gemeinden Wackersdorf und Steinberg eingegliedert..": So beginnt das offizielle Schreiben des Staatsministeriums des Inneren, unterzeichnet vom damaligen Staatsminister und späteren Ministerpräsidenten Alfons Goppel. Von den vielen Touristen am Steinberger See wissen die wenigsten, dass sich im See der Ort Oder befand, noch weniger, dass Oder eine selbstständige und im Landkreis Burglengenfeld sogar die flächenmäßig größte Gemeinde war.

Alte Kapelle.


Bei der "Aufteilung" kam der Gebietsteil Heselbach mit knapp 70 Hektar nach Wackersdorf, die übrigen Ortsteile Oder, Haid, Hirmerhaus, Holzheim, Jobsthof, Spitalhaus und Waldheim mit 1795 Hektar nach Steinberg. Ein Jahr zuvor hatte der Großteil der Bevölkerung die Eingliederung nach Steinberg beantragt, der Oderer Gemeinderat dies mit 5:2 beschlossen; der Steinberger Gemeinderat war am 28.11.1960 damit einverstanden. 

Heselbach wollte als eigenständige Gemeinde mit damals 238 Einwohnern auf 70 Hektar weiter bestehen, was das Ministerium als „Zwerggemeinde" ablehnte: Es ordnete stattdessen  eine Eingliederung nach Wackersdorf an. Sicher wäre Heselbach wohl auch zu Steinberg gekommen, wenn man sich dem Wunsch der übrigen Ortsteile angeschlossen hätte. Das Gemeindegebiet Steinbergs umfasste zu diesem Zeitpunkt 325 Hektar, das heißt, dass Oder mit seinen 836 Einwohnern flächenmäßig fast sechsmal so groß war wie Steinberg. 

Zwangsehe und Liebesheirat?

Zum Vergleich: das Gemeindegebiet Wackersdorf war mit 1717 Hektar und 2913 Einwohnern ebenfalls kleiner!. War also die Eingliederung nach Steinberg eine „Liebesheirat", die nach Wackersdorf eine „Zwangsverheiratung"? Was auf den ersten oberflächlichen Blick so scheint, kann nur bei genauerer Betrachtung richtig beurteilt werden. 

Tatsache ist, dass bereits 1932 die Gemeinde Oder sich mit diesem Gedanken beschäftigte und man 1933 einen Antrag auf Eingliederung von Oder und Heselbach nach Wackersdorf beantragte. Auf Veranlassung der Kreisleitung der NSDAP und nach Rücksprache mit dem Bezirksamt Burglengenfeld stellte am 8.8.1933 der Wackersdorfer Bürgermeister den Antrag auf Eingemeindung der Gemeinde Alberndorf und eines Teils von Kronstetten, vier Monate später wurde der Antrag auf Eingemeindung zusätzlich auf Oder und Steinberg ausgeweitet. 

Daraus wurde aber nichts, denn ansonsten gäbe es die eigenständige Gemeinde Steinberg am See schon lange nicht mehr, und ohne die freiwillige Auflösung der Gemeinde Oder 1961 wäre wohl auch bei der Gebietsreform 1972 Steinberg nicht mehr eigenständig geblieben. Was waren aber 1961 die Gründe für die freiwillige Auflösung? 

In erster Linie waren es wohl finanzielle Gründe, da man nicht mehr gewährleisten konnte, die notwendige Infrastruktur zu schaffen, aber auch persönliche Animositäten zwischen Bürgermeister und Gemeindeschreiber. Verblüfft ist man, wenn man den ein Jahr zuvor erstellten Wirtschaftsplan, erstellt von der Ortsplanungsstelle Regensburg, liest. Da steht nämlich, dass „ die Gemeinde trotz der schon vorhandenen Schuldenlast die Geldmittel für die dringendsten Erschließungsanlagen bereitstellen kann". 

Es wird auch auf die 1954/55 mit Resten des alten Wackersdorfer Gotteshauses erbaute Kirche und das 1955 errichtete Schulhaus in Heselbach hingewiesen, wo von vier Klassenräumen nur zwei belegt waren. Auch bei der Forderung nach einer eigenen Gemeindekanzlei schreibt die Ortsplanungsstelle von einem „wachsenden Gemeinwesen". Sogar ein Sportplatz ist geplant. 

Wasserkrieg sorgt für überregionale Schlagzeilen

Allerdings ist 1960 der Feuerschutz nicht gewährleistet, da eine zentrale Wasserversorgung fehlt und die Motorsspritze der FFW veraltet ist. Auch eine zentrale Abwasserentsorgung fehlte, die übrigens erst vor wenigen Jahren beim Anschluss der Gemeinde Steinberg an die Großkläranlage Schwandorf bewerkstelligt wurde.

1954 hatte der Heselbacher Wasserkrieg sogar für Schlagzeilen in der „Süddeutschen Zeitung" gesorgt. In diesem Jahr 1954 – als Deutschland zum ersten Mal Fußballweltmeister wurde- trat ein Teil der Gemeinderäte aus Oder an die Gemeinde Wackersdorf heran und bat um Erlaubnis, Heselbach an die Wackersdorfer Wasserversorgung anschließen zu lassen, denn man hatte ein neues Schulhaus, das man aber nicht eher eröffnen durfte, bis die Wasserversorgung geklärt sei. Doch Wackersdorf lehnte dieses Ansinnen aus verschiedenen Gründen zunächst ab. 

Die verzweifelten Oderer wandten sich an das Landratsamt Burglengenfeld, denn die BBI, die seit 1950 zweimal in der Woche mit Trinkwasserfahrzeugen Heselbach versorgt hatte, stellte am 15.12.1955 diese Lieferung ein. Einen Tag zuvor hatte das Landratsamt verfügt, dass Wackersdorf diesen Anschluss dulden muss, vor allem wegen des Schulbetriebs. 

Landrat rudert zurück

Die Wackersdorfer wehrten sich vehement gegen den ihrer Meinung nach gravierenden Eingriff in das Selbstverwaltungsrecht. Unter Bürgermeister Simbeck tagte man bis nach Mitternacht. Und einen Tag später ruderte der Landrat zurück und meinte, dass „die sofortige Vollziehbarkeit nicht mehr gerechtfertigt" sei. Jetzt war der Krieg zwischen Wackersdorf und Oder voll entbrannt! So wurden wie meistens in solch verfahrenen Situationen die Gerichte bemüht. Es wurde die Klage Wackersdorfs gegen Oder abgewiesen. 

Drei Monate diskutierte man im Wackersdorfer Gemeinderat, ob man dieses Urteil annehmen könne oder ob man in die nächste Instanz gehen soll. Schließlich entschied man sich für einen Vertrag mit Oder. Man wollte spätestens bis zum 31.12.1961 Wasser liefern, bis Oder eine eigene Wasserversorgung aufgebaut hat. Bereits 1955 hatte man in Steinberg beschlossen, die Oderer Ortsteile Waldheim und Haid an Steinberg anschließen zu lassen. 

Wucherpreis für Wackersdorfer Wasser

Wie erbittert dieser Wasserkrieg ausgetragen wurde, zeigt ein Bericht in der „Süddeutschen Zeitung" vom 3.1.1956: "Die Heselbacher hatten inzwischen zu graben begonnen und näherten sich bedrohlich der Wackersdorfer Leitung. Da erschien am 19. Dezember die Polizei auf dem Plan und sammelte ohne viele Worte das Werkzeug der Bauarbeiter ein....Der Landrat versuchte...,die beiden Parteien zu einer gütlichen Einigung zu bewegen, aber die Wackersdorfer gaben nicht nach. Sie erklärten sich lediglich bereit, die Nachbargemeinde mit Tankwagen zu beliefern. Zu einem Kubikmeterpreis von 2.50 Mark (in München 20 Pfennig!). Außerdem verlangten sie, dass die Oderer ihren Graben wieder zuschütten". 

Als ein Wackersdorfer Gemeindearbeiter an Silvester 1955 Wasserfässer in Begleitung von zwei Polizisten anliefern wollte, lehnten dies die ersten vier Häuser kategorisch ab und schickten ihn wieder zurück nach Wackersdorf. Auch diese Auseinandersetzung um das Wasser war mit ein Grund für die Auflösung von Oder und die gegen Wackersdorf rebellierenden Heselbacher sind seit 56 Jahren selber Wackersdorfer. 

Die Heselbacher Glocke läutete Sturm

Trotzdem noch ein anderes Beispiel , wie „beliebt" die Wackersdorfer in Heselbach waren. Nach der Auflösung beantragte die Gemeinde Steinberg die Eingliederung der Schüler aus Oder, Waldheim, Spitalhaus, Holzheim und Haid in die Steinberger Schule. Dasselbe beantragten die Wackersdorfer für die Schüler aus Wackersdorf-Ost, so dass die Schülerzahl auf 46 sank und die Regierung die Schließung der nagelneuen Schule verfügte. 

Als am 7.Oktober 1961 der Wackersdorfer Oberinspektor Riedl mit Gemeindearbeitern Möbel abholen wollte, wurde er von der erregten Heselbachern regelrecht in die Flucht geschlagen. Doch am Nachmittag tauchte man wieder auf – mit 12 Polizisten und einem Vertreter des Landratsamtes. Wie in Wildwestfilmen läuteten die Heselbacher mit ihrer Kirchenglocke Sturm. Die Einwohner liefen eilends zusammen, konnten aber die Räumung nicht verhindern. Zurück blieb eine wütende Menge und zerbrochene Fensterscheiben, die man voll Wut eingeworfen hatte.


Heute fühlen sich die Heselbacher wohl in der Gemeinde Wackersdorf und die Oderer in der Gemeinde Steinberg am See, die beide in einer Verwaltungsgemeinschaft „vereint" sind. Im dortigen Braunkohlenmuseum erinnert nicht nur der renovierte Altar der Oderer Kapelle, die neben dem Gasthaus Haller stand, an diese Zeit vor 60 Jahren.

Restaurierter Altar im Museum.
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